Häusliche Gewalt

Häusliche Gewalt ist vielschichtig, allgegenwärtig und keine Privatangelegenheit. Doch was ist häusliche Gewalt genau? Was kann getan werden, wenn häusliche Gewalt erlebt oder gesehen wird? Wann beginnt häusliche Gewalt und was sind deren Folgen für Betroffene? 

Was ist häusliche Gewalt?

Für den Begriff der häuslichen Gewalt gibt es keine allgemeingültige Definition. Was im strafrechtlichen Kontext als häusliche Gewalt definiert wird, ist nicht unbedingt deckungsgleich mit den Definitionen in kantonalen Polizeigesetzen. Die von der Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein verwendete Definition orientiert sich am Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention).

Häusliche Gewalt bezeichnet körperliche, psychische, soziale, wirtschaftliche oder sexualisierte Gewalt innerhalb der Familie, des Haushalts oder der Partnerschaft. Von häuslicher Gewalt ist auch zu sprechen, wenn die Familie/das Paar bereits getrennt lebt, die Beziehung bereits aufgelöst ist oder wenn die Gewalt erst angedroht wird. Häusliche Gewalt kann einseitig oder gegenseitig erfolgen. Zudem kann sie sich in einzelnen, gelegentlich stattfindenden Konfliktsituationen, aber auch in einem systematischen Gewalt- und Kontrollverhalten äussern.


Auch wenn häusliche Gewalt viele Gesichter haben kann, sind folgende Merkmale typisch:

  • Die Gewalthandlungen finden meist in der eigenen Wohnung statt, die als Ort der Sicherheit und der Geborgenheit verstanden wird.
  • Die gewaltbetroffene und die gewaltausübende Person verbindet eine emotionale Beziehung, die meist über die Trennung/Scheidung hinaus besteht. 
  • Ein Machtgefälle existiert und wird ausgenutzt.


Häusliche Gewalt kann verschiedene Formen annehmen, die einzeln oder zusammen auftreten können. Zu den Ausprägungen von häuslicher Gewalt gehören:

Was tun bei häuslicher Gewalt?

Wenn Sie oder Ihre Kinder Gewalt erleben

  • Wenn Sie sich bedroht fühlen oder sich in einer akuten Gefährdungssituation befinden, rufen Sie die Polizei (Tel. 117). Die Polizei hat den Auftrag, für Hilfe und Schutz zu sorgen.
  • Suchen Sie professionelle Unterstützung:
  • Sammeln Sie Beweismaterial wie Nachrichten, Fotos oder Arztzeugnisse. Dies ist für ein allfälliges straf- und/oder zivilrechtliches Verfahren hilfreich.
  • Bringen Sie eine Notfalltasche mit persönlichen Sachen von Ihnen und Ihren Kindern (Kleider, Medikamente, Pass/Aufenthaltsbewilligung, Geld, Bank- und Krankenkassenkarten, Impfpässe Ihrer Kinder, Heirats- und Geburtskunden, persönliche Wertgegenstände etc.) an einen sicheren Ort.
  • Vertrauen Sie sich einer Ihnen nahestehenden Person an, die Sie unterstützt, Sie ernst nimmt und im Notfall Hilfe holen kann. 

 

Wenn Sie jemanden kennen, der Gewalt erlebt

  • Benachrichtigen Sie in einer akuten Gefährdungssituation die Polizei (Tel. 117). 
  • Sprechen Sie die gewaltbetroffene Person an, wenn Sie sie allein antreffen. Zeigen Sie Verständnis, Geduld und Mitgefühl
  • Informieren Sie sich selbst bei einer Fachstelle über Unterstützungsangebote. Dort arbeiten Fachpersonen, die Sie informieren und entlasten können. Hier geht es zur Auflistung der Opferberatungsstellen
  • Weisen Sie die gewaltbetroffene Person auf das Angebot der Opferberatungsstellen und der Frauenhäuser hin. Bieten Sie ihr an, Sie bei der Kontaktaufnahme zu unterstützen. Hier geht es zur Auflistung der Opferberatungsstellen und hier zur Auflistung aller Frauenhäuser.
  • Informieren Sie die gewaltbetroffene Person, dass häusliche Gewalt in der Schweiz verboten ist. Es gibt Gesetze, die Opfer schützen
  • Schützen Sie die betroffene Person und sich selbst, indem Sie keine Spuren der Unterstützung (Adressen, Telefonnummern etc.) hinterlassen.

 

Wenn Sie jemanden kennen, der Gewalt ausübt

  • Sprechen Sie die gewaltausübende Person auf ihr Verhalten an, ohne sie zu verurteilen. 
  • Zeigen Sie Zivilcourage, aber begeben Sie sich selbst nicht in Gefahr. 
  • Verweisen Sie auf eine der Fachstellen für gewaltausübende Personen. Hier geht es zur Auflistung der Fachstellen

Wann beginnt häusliche Gewalt?

Häusliche Gewalt beginnt meist schleichend und subtil, zum Beispiel mit Beleidigungen, psychischem Druck, Kontrolle oder Kontakteinschränkungen. Für Betroffene ist es deshalb zu Beginn oft schwer, häusliche Gewalt als solche zu erkennen. 

Oftmals verlaufen Gewalthandlungen im häuslichen Bereich entsprechend einer Abfolge von verschiedenen Phasen, die sich immer wieder abwechseln und wiederholen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Gewaltspirale oder vom Kreislauf der Gewalt. Die Gewaltspirale ist durch die folgenden drei Phasen gekennzeichnet: 

  • Spannungsaufbau: Es kommt zu Beleidigungen, Demütigungen, Beschimpfungen, Kontrolle und Einschränkungen. Die gewaltbetroffene Person versucht, Konfliktsituationen zu vermeiden. Sie stellt ihre eigenen Bedürfnisse wie Angst, Trauer und Wut zurück und richtet ihre Aufmerksamkeit auf die gewaltausübende Person. 
  • Gewaltausbruch: Es kommt zur Gewalteskalation, sprich zu Drohungen, Schlägen, Ohrfeigen, Einschüchterungen etc. Gewaltbetroffene Personen reagieren unterschiedlich auf die erlebte Gewalt: Sie fliehen, wehren sich oder müssen die Gewalt erdulden. Teilweise geraten sie in einen Schockzustand, der Stunden oder Tage andauern kann. Danach gelingt es einigen, Hilfe zu holen und/oder eine Anzeige zu erstatten. 
  • Entschuldigungs- und Entlastungsversuche: Die gewaltausübende Person entschuldigt sich für ihr Verhalten, macht Geschenke und Versprechungen. Sie sucht nach Erklärungen für den Gewaltausbruch, etwa bei der gewaltbetroffenen Person oder in äusseren Umständen. In dieser Phase kann es teilweise zu Versöhnungen kommen. Gewaltbetroffene ziehen ihre Anzeige zurück, entscheiden sich gegen eine Trennung oder treten aus dem Frauenhaus aus und kehren nach Hause zurück. 

Ohne fachliche Hilfe von aussen ist die Gefahr gross, dass die Spannungsphase wieder einsetzt und sich die Gewaltspirale wiederholt. Meist dreht sich die Spirale daraufhin immer schneller. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, dass die Gewaltspirale erkannt wird und sowohl die gewaltausübende als auch die gewaltbetroffene Person adäquate Hilfe erhält, um diese Dynamik zu durchbrechen. 

Warum und wie entsteht häusliche Gewalt?

Es gibt nicht eine Ursache für häusliche Gewalt. Sie entsteht vielmehr durch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen und sich auf der Ebene des Individuums, der Beziehung, der Gemeinschaft und der Gesellschaft finden. 

Einflussfaktoren häusliche Gewalt auf Ebene des Individuums, der Beziehung, der Gemeinschaft und der Gesellschaft

Eigene Darstellung, in Anlehnung an Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) (2020). Grundlagen – Ursachen, Risiko- und Schutzfaktoren von Gewalt in Paarbeziehungen. Bern: EBG. 

Individuum:

  • Antisoziales Verhalten, Stress und fehlende Konzepte zur gewaltfreien Stressbewältigung 
  • Gewalterfahrungen in der Kindheit
  • Delinquenz
  • Alkohol-/Drogenkonsum etc.

Beziehung:

  • Machtgefälle
  • Dominanz und Kontrollverhalten
  • Unkontrollierbare Eifersucht
  • Anhäufung von ungelösten Konflikten und fehlende Konfliktbewältigungsstrategie etc.

Gemeinschaft:

  • Soziale Isolation des Paares
  • Fehlende soziale Unterstützung der Betroffenen
  • Gewalt bejahende und tolerierende Haltung des sozialen Umfelds etc.

Gesellschaft:

  • Starre Rollenbilder, Stereotype von Männlichkeit und Weiblichkeit
  • Fehlende Gleichstellung von Frau und Mann in den einzelnen Bereichen der Gesellschaft
  • Toleranz gegenüber häuslicher Gewalt und Banalisierung der Gewalt
  • Akzeptanz von Gewalt als Mittel der Konfliktlösung etc.

Durch das Wechselspiel dieser verschiedenen Faktoren kann auch kein einfaches Ursache-Wirkungsmodell zur Erklärung häuslicher Gewalt herangezogen werden. Nur weil jemand beispielsweise in der eigenen Kindheit Gewalt erlebt hat, bedeutet dies nicht zwingend, dass diese Person später diese Gewalterfahrung reproduzieren wird. 

Was sind die Folgen von häuslicher Gewalt?

Auswirkungen von häuslicher Gewalt sind vielfältig und zeigen sich sowohl unmittelbar als auch mittel- bis langfristig.

Auf körperlicher Ebene sind sichtbare Verletzungen (wie beispielsweise ein blaues Auge, blaue Flecken, Hämatome, Blutergüsse, Prellungen, Knochenbrüche oder Kratzspuren) und unsichtbare Verletzungen (wie beispielsweise innere Blutungen oder Gehirnerschütterungen) zu nennen. Des Weiteren kann häusliche Gewalt zu Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen sowie zu erhöhtem Medikamenten- und Alkoholkonsum führen. 

Häusliche Gewalt kann aber auch psychische Beeinträchtigungen mit sich bringen wie etwa Schlafstörungen und Albträume, Konzentrations- und Leistungsschwierigkeiten und Angstgefühle. 

Mittel- bis längerfristig können sich verschiedene (psycho-)somatische und psychische Belastungen einstellen. Dazu gehören Magen-Darm-Beschwerden, Schmerzsyndrome und gynäkologische Beschwerden sowie Essstörungen, Depressionen, Angststörungen, Suizidalität und posttraumatische Belastungsstörungen. Für letztere charakteristisch sind Symptome des Wiedererlebens etwa in Form von Flashbacks oder Albträumen sowie Vermeidungsverhalten.

Auf (psycho-)sozialer Ebene kann häusliche Gewalt zu Schuld- und Schamgefühlen sowie zu einem verminderten Selbstwertgefühl bei den Betroffenen führen, was mit sozialem Rückzug einhergehen kann. Darüber hinaus ist die erzwungene soziale Isolation eine weitere mögliche Folge von häuslicher Gewalt. 

Zu den finanziellen Konsequenzen von häuslicher Gewalt gehören etwa erzwungene finanzielle Abhängigkeiten (beispielsweise aufgrund eines Arbeitsverbots oder der Kontrolle über das Geld) sowie finanzielle Schwierigkeiten im Falle einer Trennung. 

Die geltenden ausländerrechtlichen Bestimmungen bedingen zudem, dass Migrant:innen, die über eine Aufenthaltsbewilligung aufgrund von Familiennachzug verfügen, im Falle einer Trennung den Verlust ihres Aufenthaltstitels fürchten müssen und aus diesem Grund bei ihrem:r Partner:in verweilen.

Angesichts der schwerwiegenden möglichen Folgen von Gewalt ist es wichtig, dass Sie nicht allein bleiben und sich Unterstützung suchen

Hier geht es zu Informationen über die Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf Kinder.